Wie kein anderer DDR-Historiker verbindet Stefan Wolle in seinen Arbeiten Herrschafts- und Alltagsperspektive. Sein Buch »Die heile Welt der Diktatur« über die DDR in den 70er und 80er Jahren gilt inzwischen als Standardwerk. Auf dem Weg zu einer Gesamtgeschichte der DDR in drei Bänden folgen nun die sechziger Jahre mit Walter Ulbricht an der Spitze.
Ab dem 13. August 1961 war die DDR eingemauert. Doch bot das nicht auch eine Chance? Die Sowjetführung verkündete 1961 den Aufbau des Kommunismus. Auch in der DDR war eine neue Generation herangewachsen, die ungewohnte Anforderungen an die Gesellschaft stellte und ein Aufbrechen erstarrter Strukturen ersehnte. Es war das Zeitalter der großen Erwartungen. Der Flug zu den Sternen wurde Realität, der Fortschrittsglaube war mit auf dem Höhenflug. Die Periode von 1963 bis 1968 blieb die reformreichste Zeit in der Geschichte der DDR, doch am Ende des Jahrzehnts standen die Wirtschaftsreformer vor den Trümmern ihrer Politik. Die Dogmatiker und Doktrinäre hatten sich durchgesetzt. Um das Land ruhigzuhalten, wurden zugunsten unbezahlbarer Sozialprogramme die nötigen Investitionen in den Bereichen Wissenschaft, Bildung, Grundlagenforschung, Infrastruktur und Umwelt vernachlässigt. Die Versuche einer Selbstregulierung wurden aufgegeben, der Plan kam wieder zu seiner alten Geltung. So wurde aus dem Aufbruch nach Utopia ein Aufbruch in die Stagnation. »Der gefährlichste Gegner des Reformpolitikers Ulbricht war der Machtpolitiker Ulbricht.« (Wolle)
Stefan Wolles spannende Zeitreise führt tief in die DDR jener Jahre hinein, durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch. In faktenreicher Dichte lässt Stefan Wolle das gesamte Material – von Kinderzeitschriften über Filme und Schlager bis hin zur Literatur – zu Wort kommen. Die besondere Faszination, die von seinem Schreiben ausgeht, ist der Tatsache geschuldet, dass er gleichsam die Zeichensysteme der Zeit decodiert, die Lebenswirklichkeit in die Geschichtsdarstellung zurückholt und aus der Perspektive der Zeitgenossen erzählt, als die Geschichte ihrer Hoffnungen, Träume und Ängste.
Über den Autor
Jahrgang 1950, Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin, 1972 Relegation aus politischen Gründen, Arbeit in einem Produktionsbetrieb, 1976-89 Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1984 Promotion, 1990 Mitarbeiter des Komitees für die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, 1991-96 Assistent an der Humboldt-Universität, 1996-98 Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1998-2000 Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, danach freier Autor, zeitweilige Mitarbeit im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, seit 2005 wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums Berlin.
Artikel über alle drei Bände
DAS POLITISCHE BUCH: Alltagsgeschichte der DDR
Stefan Wolle: "Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1949-1989." Ch.Links Verlag, Berlin. 1360 Seiten. 59,90 Euro
Stefan Wolle: "Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1949-1989" (kann auch angehört werden)
Kritischer Artikel
Über die Schwierigkeit, ein Experte für »Alltag und Herrschaft in der DDR« sein zu wollen